Kein Besucher muss in Köln die Adresse des TÜV Rheinland kennen; jeder Taxifahrer findet das Gelände: Fast schon ein kleines Stadtviertel, gekrönt von einem Hochhaus, in dessen lichtdurchflutetem 22. Stock wir mit dem Vorstandsvorsitzenden zu einem Gespräch verabredet sind. Schnell landen wir beim Thema Absenkung der Photovoltaik-Förderung, denn nahezu drei Viertel der weltweit ausgestellten Modulzertifikate vergibt sein Unternehmen. „Das hat sicher vorübergehend Auswirkungen auf die Hersteller“, räumt Dr.-Ing. Manfred Bayerlein mit Blick auf seine Kunden ein; deutsche Hersteller seien da aufgrund ihrer Kostenstrukturen stark gefordert.
Seine eigenen Pfründe sieht der Chef des Unternehmens, das 2011 1,3 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftete und etwa 16.500 Mitarbeiter beschäftigt, dagegen nicht unmittelbar bedroht: „Wir sind nicht so sehr von der Stückzahl abhängig, wir leben von der Variantenvielfalt.“ Und da kennen die Rheinländer eine Taktik der Automobilindustrie, die zuversichtlich stimmt: „Wenn der Absatz von Produkten zurückgeht, erhöht man die Anzahl der Varianten - und jede muss geprüft werden“, lautet das Kalkül von Dr.Bayerlein. „Insofern wird der Einbruch nicht in voller Härte auf uns durchschlagen, zumal es international weiterhin attraktive Märkte gibt, und auch in Deutschland wird der Markt nicht zusammenbrechen.“
Bereit für Elektromobilität
Ganz anders die Einschätzung beim Modethema Elektromobilität: Da sitzt in der Chefetage ein Stratege, der bei aller Begeisterung für Technik eher zur Vorsicht mahnt (siehe Interview auf der nächsten Seite). Dass der Hype abflacht, gibt einige Stockwerke tiefer auch Frank Ramowsky zu, der Leiter Elektromobilität des Hauses. Er kann der neuen Sachlichkeit eine positive Seite abgewinnen: „Wir kommen von der emotionalen mehr auf die rationale Ebene. Aus dem Hype wird Realität“, wenn auch auf niedrigem Niveau: „Wir sind in der Marktanlaufphase, noch etwas weg von der Hochlaufphase“, ist die Einschätzung des Fachmanns. Noch sei es in Deutschland schwierig, Fahrzeuge zu bekommen, aber das werde sich ändern.
Und schon sprüht er vor Begeisterung für alle Stufen der Wertschöpfungskette, die sein Arbeitgeber begleitet: Von der Erzeugung der regenerativen Energien, die nach dem Abschalten der Kernkraftwerke den CO 2-Wert im Strommix auf akzeptable Werte drücken, über Batterietests, den Genehmigungsservice für Fahrzeuge (Homologation) und deren Nutzung, denen der Prüfdienstleister beispielsweise in Crashtests auf den Zahn fühlt, bis zu Wertschöpfungsstufen über das Fahrzeug hinaus: Selbst in der der Ladesäulen oder der Abrechnung - bei allem, was die Nutzung eines Fahrzeugs ermöglicht, kann der TÜV Rheinland als Dienstleister aufwarten.
Einige Batterietestlabors haben sich - ausgehend von handelsüblichen Batterien - inzwischen mehr auf die höheren Automotive-Anforderungen spezialisiert. Als Beispiel nennt Ramowsky das Batterietestlabor des TÜV Rheinland in Nürnberg, wo die Mitarbeiter auf Zelle und Modul spezialisiert sind, die dort entwickelt und geprüft werden. „Darauf sattelt das niederländische European Electric Mobility Center in Helmond auf, das der TÜV Rheinland in Kooperation mit TNO betreibt.“ Dort liegt der Fokus mehr auf der großen Batterie, etwa Tests des elektrifizierten Antriebsstrangs in allen Hybridisierungsstufen bis zum batterieelektrischen oder auch Wasserstoff-Antrieb. In der großen Klimakammer kann sogar ein kompletter Lkw unter realen Fahrzyklen getestet werden, beispielsweise mit einer Höhensimulation bis auf 4000 m - eine Dienstleistung, die auf Monate hinaus nachgefragt ist.
Sehr gut läuft auch schon das Geschäft mit der Ausbildung im Umfeld der Elektromobilität: „Die Qualifizierung von Fachkräften ist im Moment eines unserer Hauptbetätigungsfelder“, sagt Ramowsky. Sie werde intensiv nachgefragt und sei ein Frühindikator dafür, dass sich die Märkte inzwischen intensiv auf die Elektromobilität vorbereiten.
Energieeffizienzpotenziale aufspüren
Eine sehr starke Nachfrage registriert man in Köln derzeit auch auf einem ganz anderen Gebiet: Energieeffizienz - speziell auch Energiemanagement. Das kommt nicht von ungefähr, da Ende April für große Firmen die Zertifizierung nach ISO50001 Pflicht wird, wollen sie noch in den Genuss von Steuervorteilen kommen. Das setzt in jedem Fall voraus, dass die Firmen ein Energiemanagementsystem zum Laufen bringen, das ihnen einen Überblick über den Energieverbrauch liefert. Manche haben dann allen Grund, ihre Herstellungsprozesse zu optimieren, andere setzen an der Wärmeerzeugung in Gebäuden an, wiederum andere identifizieren Rechenzentren oder die IT-Arbeitsplätze als (un)heimliche Energieschlucker.
Gerade am IT-Arbeitsplatz sei es um die Energieeffizienz oft noch schlecht bestellt. „Da kann man noch eine Menge tun“, ist die Erfahrung von Prokurist Dieter Kaufmann, Key Account Manager Real Estate. In Kooperation mit Telekom und T-Systems entwickeln die Rheinländer daher gemeinsam mit JouleX ein Monitoring-System, das den Energieverbrauch von Komponenten ständig misst. Zum Test ist es derzeit an 250 Arbeitsplätzen des TÜV Rheinland für ein Jahr installiert.
Analog könnten unterschiedliche Maßnahmen auf anderen Feldern Abhilfe bringen - doch die Crux liegt nicht dort. „Technik ist beliebig verfügbar. Es geht darum ob die Kosten den Einsatz rechtfertigen“, schränkt Kaufmann ein. Das sieht auch Dr. Bayerlein so: „Investitionen in Energieeffizienz sollen sich in Fabriken oft innerhalb eines Jahres amortisieren - ein extrem kurzer Zeitraum“, findet der Vorstandsvorsitzende.
Nachhaltigkeit immer stärker gefragt
Seine Empfehlung: „Da sollten wir uns alle einen Ruck geben, um auch in Maßnahmen zu investieren, die sich erst im zweiten, dritten oder fünften Jahr rentieren“, appelliert Dr.Bayerlein an das Bewusstsein für Nachhaltigkeit der Unternehmer. Und er muss wissen, wovon er spricht, schon weil der Prüfdienstleister anhand der drei Kriterien CO 2-Fußabdruck, Primärenergiebedarf und Lebenszykluskosten im Auftrag seiner Kunden Nachhaltigkeit misst. Insbesondere große Firmen achten verstärkt auf diese Parameter, weil die Unternehmen immer häufiger eine Nachhaltigkeitsstrategie formulieren, quantifizierbare Ziele definieren und in Jahresberichten Rechenschaft ablegen - so auch der TÜV Rheinland selbst.
Nachhaltigkeit fügt sich bei einem Unternehmen problemlos in eine historische Perspektive ein, das seine Wurzeln fast anderthalb Jahrhunderte zurückverfolgen kann: 1872 startete es als Dampfkessel-Überwachungsverein, also vor 140 Jahren. Wieso feiert man eigentlich so ein „unrundes“ Jubiläum? „Nicht aus der Sorge, dass wir das 150-jährige nicht mehr erleben“, antwortet Dr. Bayerlein lachend. „Wir sind einfach stolz darauf, schon vor so langer Zeit einen guten Auftrag von den Gründern bekommen zu haben, den wir erweitert haben“.
Tatsächlich sind Geschäftsfelder hinzugekommen: „Wir kümmern uns ja auch um Materialien, Werkstoffe, die Verarbeitung und die Menschen“, zählt Dr. Bayerlein auf. „Die Welt verändert sich permanent, die Menschen sind verunsichert. Und deshalb ist eine neutrale Stelle gefragt, die Orientierung gibt.“