Mit ihren Kohleminen auf Spitzbergen, der jenseits des Polarkreises gelegenen Inselgruppe im Nordatlantik, ist Store Norske die nördlichste Bergbaugesellschaft der Welt. Arktisches Klima mit Jahresdurchschnittstemperaturen von - 4,4 °C; die Polarnacht dauert von Ende Oktober bis Mitte Februar. Doch der Bergbau lohnt sich auch unter diesen widrigen Bedingungen, denn die Kohleflöze dringen teilweise bis an die Oberfläche. Im Frühjahr 2012 begann das Unternehmen mit der Erschließung einer weiteren Mine in der Region Luncke-fjell. Hier lagern schätzungsweise 8,2 Mio. t Kohle von hoher Qualität, die auf dem europäischen Markt auch für metallurgische Prozesse gefragt ist.
Nachdem die Infrastruktur im Laufe des Jahres eingerichtet wurde, begann Store Norske Anfang 2013 mit dem Aufbau des Maschinenparks. Dabei setzen die Norweger auch auf das Bergbau-Know-how, das deutsche Maschinenbauer über Jahrzehnte im Ruhrgebiet gewonnen haben. So wird unter anderem die Firma Halbach & Braun einen Kettenkratzförderer ins ferne Spitzbergen liefern. "Dieser Förderer ist das wichtigste Element, um das gewonnene Haufwerk, also das herausgebrochene Gesteinsmaterial, vom Ort der Gewinnung zur Zerkleinerung und Verarbeitung zu transportieren", erklärt Dr. Die-trich Braun, geschäftsführender Gesellschafter von Halbach & Braun. Das Unternehmens baut zudem Brecher, Kohlenhobel und sogenannte Bandenden - die Verbindungselemente zwischen Kettenkratzförderer und Bandförderer.
Arbeit unter 120 Tonnen Last
Der von Store Norske bestellte Kettenkratzförderer soll im Tagebau eingesetzt werden. Hier wird der Förderer nicht direkt am Abbauort platziert, sondern das Haufwerk (Gesteinsbrocken) wird von Lkw antransportiert. Sie kippen ihre Last in einen 80 m³ fassenden Bunker, aus dem der Förderer dann kontinuierlich Kohle herauszieht. "Beim Befüllen fallen bis zu 2 Tonnen schwere Brocken aus mehreren Metern Höhe auf den Förderer; ist der Bunker randvoll gefüllt, lasten 120 Tonnen Material auf ihm", beschreibt Dr. Braun die extremen Belastungen. "Nur ein Kettenkratzförderer kann diese Last aushalten." Denn hier liegt das Material nicht auf einem Band auf, sondern auf einer feststehenden, bis zu 5 cm dicken Stahlplatte. Hierüber "kratzen" querstehende Mitnehmer, die über zwei Ketten verbunden und angetrieben werden. Die Mitnehmer ziehen das Material langsam und kontinuierlich aus dem Bunker. Der Förderer für Store Norske transportiert so rund 450 t pro Stunde.
"Um die Kohle aus dieser schweren Auflastung zu ziehen, ist eine sehr hohe Kraft erforderlich", erklärt Braun weiter. "Entsprechend wird ein Antrieb mit einer sehr großen Untersetzung benötigt, um das notwendige Drehmoment zu erzeugen." Als Betriebsdrehmoment errechneten die Experten von Halbach & Braun für den Store-Norske-Förderer 29,4 kNm, das Nennmoment liegt bei 130 kNm. "Trotz des hohen Drehmoments brauchen wir allerdings nur eine niedrige Leistung des Motors, weil die Geschwindigkeit des Förderers relativ niedrig ist", so Braun.
Hohes Drehmoment, niedrige Leistung
Diese Kombination von hohem Drehmoment und niedriger Motorenleistung erfordert eine individuelle Antriebslösung: "Bei derartigen Anforderungen greifen wir in der Regel auf Antriebe von SEW-Eurodrive zurück", erzählt Braun weiter. "Denn SEW hat ein großes Portfolio an Standard-Komponenten, aus dem sich sehr schnell eine passende, individuelle Antriebslösung zusammenstellen lässt." Maßgeschneiderte Antriebslösungen sind für Halbach & Braun essentiell, denn auch die Maschinen des Mittelständlers sind Einzellösungen, immer zugeschnitten auf die jeweiligen Anforderungen der Bergbauunternehmen. Im Falle des Kettenkratzförderers für Store Norske schlug das in Dortmund ansässige Technische Büro von SEW, das die Projektierung des Antriebs für Halbach & Braun durchführte, einen Doppelantrieb vor. Kombiniert wurde dabei jeweils ein Drehstrommotor der DRE-Baureihe mit 37 kW mit einem vierstufigen Industriegetriebe der X-Serie in der Baugröße 190.
Individuelle Lösung aus dem Standardbaukasten
Die Motoren der DR-Baureihe sind konform zu einer ganzen Reihe internationaler Bauvorschriften wie IEC EN 60034 oder NEMA MG1. Durch einen großen Spannungsbereich vereinen sie die unterschiedlichen Spannungen weltweit in einem Motor. Die Ausführung E steht führt die Energie-Effizienzklasse High Efficiency gemäß IE2. Die Motoren sind über Motorlaternen und elastische Kupplungen an die Getriebe der Baureihe X aufgebracht. Diese Industriegetriebe gibt es in einer Vielzahl unterschiedlichster Ausführungen. Die robusten Stirn- und Kegelstirnradgetriebe decken den Drehmomentbereich von 6,8 bis 475 kNm und einen Übersetzungsbereich von 6,3 bis 450 ab. Das Getriebekonzept bietet eine feine Baugrößenstufung, hohe Einbauvariabilität und eine Vielzahl modularer Optionen. Eine große Anzahl vordefinierter Zusatzausstattungen schafft zusätzliche Flexibilität. Dazu gehören zahlreiche modulare Optionen wie Motoradapter und Montageflansche, Rücklaufsperren und Kühlsysteme sowie Dichtsysteme für die unterschiedlichsten Umgebungsbedingungen. "Die Motoren für den Kettenkratzförderer sind zum Beispiel mit einem elektrischen Heizsystem ausgestattet, das über unseren Katalog als Standardvariante mit bestellt werden kann", so SEW-Experte Thomas Vogt vom Technischen Büro Dortmund, der die Projektierung für den Antrieb begleitet hat. Das Heizsystem sorgt dafür, dass das Getriebeöl auch bei den in Spitzbergen auftretenden extremen Minustemperaturen die nötige Viskosität hat.
Ein dritter SEW-Motor, ebenfalls aus der DR-Baureihe, aber mit einer Leistung von 160 kW, sorgt für den Antrieb des auf halber Förderstrecke montierten Brechers. "Kettenkratzförderer verbrauchen sehr viel Energie, daher wird die Förderstrecke möglichst kurz gehalten", erklärt Dr. Braun. "Der Brecher zerkleinert das Haufwerk auf eine Geröllgröße von maximal 300 mm, damit kann es dann von energieeffizienteren Gummibandförderern weiter transportiert werden." Der Motor treibt dabei den Rotor des Brechers nicht über ein Getriebe, sondern über einen Keilriemen an. Das reduziert die Schläge auf den Motor und verhindert Beschädigungen am Antrieb, falls der Brecher blockiert.
Feinjustierung über Umrichter
Alle Motoren werden über SEW-Umrichter des Typs Movi-drive betrieben. "Mit dem Frequenzumrichter kann der Kunde eine Feinjustierung der Antriebe vornehmen", erklärt Dr. Die-trich Braun. "Denn wieviel Material aus dem Bunker abgezogen wird, hängt sehr stark vom Haufwerk ab: Feuchte Kohle klebt sehr stark, sodass mehr Material aus dem Bunker transportiert wird. Um dann den Brecher nicht zu überlasten, lässt sich per Umrichter die Drehzahl der Kettenantriebe reduzieren." Falls es doch einmal zu einem Schaden an einem Antrieb kommen sollte, kann Halbach & Braun auf das weltweite Service-Netzwerk von SEW-Eurodrive zurückgreifen: "Wir haben in Norwegen und Finnland Niederlassungen, die auch in Spitzbergen schnelle Hilfe bieten können", betont Roger Goeke-Zimmler vom SEW-Vertrieb für Industriegetriebe-Systeme. Doch Braun ist zuversichtlich, diesen Service nicht nutzen zu müssen: "Da wir mit SEW-Eurodrive im Vorfeld eines Projekts die Einsatzbedingungen vor Ort genau besprechen - also Temperaturbereiche, Schutz vor Feuchtigkeit, Ölviskosität und so weiter -, erwarten wir auch bei diesem Einsatz keine bösen Überraschungen. Bis heute hatten wir noch kein Problem mit SEW-Antrieben."