Auf der einen Seite ist einer Enquete-Kommission des Bundestags vorletztes Jahr die durchaus ernst gemeinte Frage mitgegeben worden, ob über die Einführung von Persönlichkeits- oder Bürgerrechten für KIs schon bald gesprochen werden müsse. Auf der anderen Seite hat niemand eine Vorstellung von einer Welt, in der die Antwort auf diese Frage „ja“ sein könnte.
Denn eine KI, die wie eine Person behandelt werden müsste, hätte viele menschentypische Eigenschaften. Dazu zählt unter anderem eine nicht unbeträchtliche, allgemein anwendbare Intelligenz. Dazu gehören aber eben auch viele Eigenschaften von Software, zum Beispiel die beliebige Kopierbarkeit. Selbst wenn man sich nur ein einzelnes Feld unseres Zusammenlebens aussucht und die Konsequenzen einer solchen Situation zu durchdenken versucht, stößt man schnell an die Grenzen des Vorstellbaren: Wie wäre das, wenn juristische Kompetenz und Argumentationsfähigkeit in beliebiger Menge zur Verfügung stünden? Wie viel Streit findet heute gar nicht statt, weil er unsere Lebenszeit nicht wert ist? Wie sähe eine Welt aus, in der diese Beschränkung gefallen ist und Streit vor Gericht komplett automatisierbar und quasi kostenlos ist? Wie auch immer die Antwort lautet: Offensichtlich ist sie nicht.
So ist das, mit der Zukunft: Meistens kommt Quatsch raus, wenn wir über sie reden. Niemand versteht das Potential von neuer Technologie. Niemand weiß andererseits, wo es auch wieder endet, oft wegen praktischer Probleme, die erst beim Einsatz sichtbar werden.
Das Problem: Wir beharren zu sehr auf extremen Positionen
Wie die Vergangenheit auch ist die Zukunft deswegen vor allem ein Spielfeld gegenwärtiger Interessen: Wir erzählen Geschichten, die zu unseren Anreizstrukturen oder ideologischen Grundhaltungen passen. Wir erzählen zum Beispiel Geschichten von einer fast unaufholbaren chinesischen Überlegenheit in Sachen KI, weil die Position des missverstandenen Propheten dankbar ist (und für Berater lukrativ). Oder wir erzählen die Geschichte, dass das, was heute als KI gehypt werde, eigentlich nichts Neues sei und man's ignorieren könne. Es stimmt schließlich immer irgendwie, dass es nichts prinzipiell Neues unter der Sonne je gibt. Am Ende sind alle solchen Geschichten, von großer Gefahr und großem Potential, Geschichten über die Zukunft, und damit oft Quatsch.
Vernünftig über KI nachdenken – eine Anleitung
Was also tun, wie nachdenken über KI? Einfach strategisch kapitulieren und im Grunde sagen: Es kommt halt, wie's kommt? Es gibt, behaupte ich, eine dritte Möglichkeit, neben leichtsinnigem Achselzucken und hysterischem Mahnen: „Erstmal Ranfahren“.
„Erstmal Ranfahren“ ist eine Strategie, die ich von einem erfahrenen Skipper gelernt habe – auf einem kleinen Segelboot bei der nächtlichen Überquerung des Ärmelkanals. Für alle, die das noch nicht gemacht haben: Es ist ziemlich furchteinflößend. Alles voller sehr dicker, ziemlich schneller Dampfer, die leuchten wie die Christbäume und bei denen wirklich schwer auch bloß zu sehen ist, ob die nun nach rechts, wo Rotterdam und Hamburg sind, fahren, oder nach links, wo die große weite Welt ist. Von Geschwindigkeit und genauem Kurs ganz zu schweigen. Man ist schnell doch ziemlich überfordert, wenn man allein die Nachtwache erwischt hat und da durchfahren soll.
KI ist ein dicker Dampfer, das stimmt in jedem Fall. Nicht weil sie heute viel kann, nicht weil sie notwendigerweise bestimmte Sachen in der Zukunft können wird – sondern weil sie so viel können „könnte“. Das ist der Unterschied zu den meisten Erfindungen, denen man sonst begegnet: Selbst wenn sie gut funktionieren, geht ihre transformative Kraft nicht ins Unvorstellbare. KI ist anders, keine Erfindung oder Technologie im eigentlichen Sinne, sondern die prinzipielle Möglichkeit, dass sich wirklich so ziemlich alles ändert, wenn es mit der Computertechnik noch ein bisschen weiter geht. Ein dicker Dampfer also.
Große Veränderungen brauchen Zeit
„Erstmal Ranfahren“ ist da eine gute Strategie: Hellwach bleiben, näherkommen, gucken und erst navigieren, wenn man die Informationen dafür wirklich beisammen hat (und dann entschlossen). Beim Ranfahren versteht man besser, was sich wirklich bewegt und in welche Richtung. Man hat auch viel mehr Zeit, als man denkt: Wirklich große Veränderungen geschehen gründlicher, aber auch langsamer, als es der hysterische erste Blick darauf vielleicht nahelegt.