Frau Dr. Jahn, die Digitalisierung im Mittelstand verläuft schleppend. Wo sehen Sie die Hauptgründe?
Dr. Jahn:
Ich sehe vor allem zwei Gründe, die zu dieser Entwicklung geführt haben. Einerseits sind das die schon viel zitierten, fehlenden Ressourcen. Und andererseits der fehlende Wille. Aber für Letzteren trägt aus meiner Sicht gerade auch die Rhetorik in den einschlägigen IoT- und Industrie4.0-Diskursen eine Mitschuld. Denn hier war und ist seit Jahren von Disruption die Rede. Da fühlen sich viele Verantwortliche eher gekränkt, wenn nicht sogar abgeschreckt.
Sie sind also der Auffassung, dass der Begriff der Disruption fehl am Platz ist? Benötigen wir aber nicht disruptive Geschäftsmodelle um künftig wettbewerbsfähig zu sein?
Dr. Jahn:
Nein, nicht unbedingt. Genau darum geht es. Viele Geschäftsmodelle beziehungsweise Produkte sind im Kern nach wie vor gut und bedürfen keiner radikalen Umstrukturierung. Auch wenn viele mittelständische Unternehmen keine Digitalisierungsexperten sind, wissen sie das sehr genau. Und haben schlicht keine Lust den vermeintlichen Experten bei Belehrungen wie diesen weiter zuzuhören. Das Problem ist, dass auf diese Weise auch die kleinen Schritte, die aber sehr wohl notwendig sind, nicht gemacht werden. Denn auch wenn im Moment die Auftragsbücher noch gut gefüllt sind, können in absehbarer Zeit Marktanteile verloren gehen, wenn etwa zusätzliche Service-Angebote fehlen
Auf der Suche nach den kleinen, feinen Häppchen haben sich doch aber auch schon viele gemacht und nicht verzettelt. Wo liegt aus Ihrer Sicht denn das Potenzial für den Mittelstand, wenn es nicht die 180-Grad-Wende ist?
Dr. Jahn:
Betreibermodelle oder neudeutsch „as-a-Service“ ist bei der Produktdigitalisierung der Schlüssel zum neuen Geschäftsmodell. Habe ich Produkte digitalisiert, ist die nächste Frage: Kann ich sie auch für meinen Kunden betreiben?
Und was soll dann den großen Vorteil für den industriellen Mittelstand ausmachen?
Dr. Jahn:
Wenn zum Beispiel die Maschine „as-a-Service“ betrieben werden kann, ergeben sich große Optimierungspotenziale. Stellen Sie sich vor, Sie wissen dann, wie Ihre Maschine sich beim Kunden verhält. Damit können Sie eine ganz andere Produktentwicklung anstoßen. Wenn Sie das Know-how von vielen Ihrer Maschinen im Betrieb bei vielen Ihrer Kunden einsammeln können, dann können Sie auch die Preise für „pay-as-you-use“ mit ganz anderer Sicherheit bestimmen. Ein Maschinenbauer sagte mir, dass er den Preis pro produzierte Einheit dann um bis zu 60 Prozent senken kann. Über die „Machine-as-a-Service“ haben Sie auch ganz andere, geglättete Umsatzverläufe. Das Ersatzteilgeschäft kann automatisch angestoßen werden. Das führt teilweise zu einer Verfünffachung des Ersatzteilumsatzes beim Maschinenbau. Wir sprechen also nicht über eine 180-Grad-Wende, sondern über die Chance, den Umsatz über Produktdigitalisierung exponentiell zu steigern. Das ist für den Mittelstand ein Digitalisierungsargument