Professor Bastian Leibe von der RWTH Aachen forscht bereits seit vielen Jahren an Computer Vision, der Technik, die unter anderem hinter der virtuellen Werbung steckt: „In den letzten Jahren ist in diesem Bereich sehr viel passiert. Statt einer Hardware ist jetzt eine Software am Werk, die das eigentliche Sendesignal im Bereich der Bande perspektivisch korrekt überblenden kann und so eine zielgruppenspezifische Werbung auf Banden ermöglicht“, erklärt der Leiter der „Computer Vision“-Gruppe an der RWTH Aachen und Direktoriumsmitglied des KI-Centers: „Für Bandenwerbung brauchen wir natürlich keine KI – Werbung wurde jahrelang auch einfach gekleistert. Durch KI können wir aber, und das ganz ohne bauliche Veränderungen in den Stadien, die Werbung flexibler und damit auch gruppenspezifischer machen.“
Doch wie funktioniert diese personalisierte Werbung?
Zum einen muss das System sehr genau erkennen, welchen Bereich des Spielfeldes die Kamera zu jedem Zeitpunkt sieht, damit die gewünschte Werbung perspektivisch korrekt über den Bandenflächen eingeblendet werden kann. Zum anderen müssen Personen, die sich vor den Bandenflächen bewegen, oder vielmehr bei dieser Europameisterschaft Fußballspieler, erkannt und pixelgenau herausgerechnet werden, damit sie nicht durch die eingeblendete Werbung verdeckt werden.
Durch die Kombination dieser beiden Effekte entsteht die Illusion, dass sich die Werbung tatsächlich auf den Bandenflächen befindet, obwohl sie rein virtuell am Computer entsteht. Um die beiden Verarbeitungsschritte in der nötigen Qualität und Geschwindigkeit durchzuführen, war früher eine sehr aufwändige und damit teure Hardwareunterstützung nötig. Heutzutage können beide Schritte insbesondere durch den Einsatz moderner maschineller Lernmethoden komplett in Software erfolgen, was den Einsatz deutlich flexibler macht.
„Die zugrundeliegende Technik ist vergleichbar mit der Technik hinter Augmented-Reality-Brillen, die gerade sehr gefragt sind. Die Technik, die digitale Werbebanden ermöglicht, haben wir schon heute in unseren Smartphones und Tablets“, fügt Professor Holger Hoos, Alexander-von-Humboldt-Professor für KI an der RWTH Aachen, an.
Die Werbung der Zukunft
Die personalisierte Werbung, die heute bereits auf den Spielfeldbanden möglich ist, wird sich in den nächsten Jahren rasant weiterentwickeln: „Werbung direkt auf den Trikots der Spieler, während ein Spiel läuft, wird möglich werden oder auch Werbe-Einblendungen direkt auf den Tribünen“, glaubt Leibe und Hoos denkt an Werbung, die sehr lokal zugeschnitten werden kann: „In ein paar Jahren sitzen wir in einer Aachener Kneipe, schauen ein internationales Fußballspiel und die Werbung wird in erster Linie Unternehmen aus der Region zeigen. Natürlich löst sich dadurch auch die ‚Wir sind alle gemeinsam im Stadion‘-Kultur langsam auf. Wir sind ja nicht mehr alle zusammen beim Spiel, wir sehen jeweils ganz andere Dinge – aufgrund von Pixel-Überblendung“.
Aber nicht nur Werbung kann durch KI-Methoden bei Sportereignissen verändert und angepasst werden: „Wenn in Kanada ein Eishockeyspiel läuft, wird der Puck bereits seit einiger Zeit durch Pixelanpassung visuell hervorgehoben, weil er sonst im Spiel gar nicht sichtbar wäre“, weiß Leibe.
Manipulation als große Gefahr
Die Gefahr, dass Bilder und Videos immer realistischer manipuliert werden, nimmt laut Leibe durch die immer bessere bildverarbeitende KI-Verfahren deutlich zu: „Wir kommen allmählich an einen Punkt, wo wir nicht mehr allem trauen können, was wir sehen. Schon der virtuelle Hintergrund bei Zoom wird so unglaublich realistisch aussehen, dass er von der Realität nicht mehr zu unterscheiden ist.“ „Da beginnt dann die Verwaschung der Grenzen zur Realität“, steht für Hoos fest.
Wie diese Gefahr gebannt werden kann, macht Leibe am Beispiel des „Video-Schiedsrichters“ deutlich: „Wir brauchen daher Systeme, die glaubhaft sind und Vertrauen schaffen. Das gelingt nur mit starken menschlichen Kontrollen.“ Für beide Professoren steht fest, dass der Einsatz von personifizierter Werbung erst begonnen hat: „Irgendwann sitzt man zuhause, wartet auf den Beginn eines Spiels und die eingeblendete Werbung kommt dann aus dem Nachbarzimmer: „Die Kühlschranktür kann man auch schließen“, scherzt Leibe.