Viele systemweite Folgen der sehr schnellen Veränderungen im Erzeugungssektor sind inzwischen verstanden; geeignete, neue technische Lösungen sind entwickelt und halten Einzug in die Praxis. Beispiele dafür finden sich praktisch überall in der Bereitstellung und Nutzung elektrischer Energie.
In der öffentlichen Diskussion dominiert immer noch die Notwendigkeit des Übertragungsnetzausbaus, bei dem sich die Experten inzwischen weitgehend einig sind, dass Europa eine Ferntransportebene brauchen wird, die das bestehende Übertragungsnetz ergänzt und aller Voraussicht nach in Hochspannungs-Gleichstromtechnik ausgeführt werden wird.
Sichtbare Ergebnisse
Erste Projekte dazu sind bereits in Planung [1] und auf der Hannover Messe wurde intensiv diskutiert, dass ein solches HGÜ-Netz im nächsten Jahrzehnt und damit passend zum Bedarf machbar sein wird.
Aber längst finden auch andere Veränderung statt: Konventionelle Kraftwerke werden nachgerüstet, um den erhöhten Anforderungen an ihre Flexibilität gerecht zu werden, mehr und mehr Verteilungsnetzbetreiber beginnen, ihre Ortsnetzstationen zu überwachen und auch fernzusteuern und die Spannungshaltung wird vor allem in ländlichen Verteilungsnetzen mit hohem Anteil dezentraler Einspeisung eine immer größere Herausforderung. Auf der diesjährigen Hannover Messe war dieser Teil der Weiterentwicklung der elektrischen Energieversorgung sehr greifbar. Viele Exponate vermittelten glaubhaft den Eindruck, dass Lösungen für die dringenden aktuellen Herausforderungen inzwischen verfügbar sind.
Ein wichtiges und international viel beachtetes Instrument für die Weiterentwicklung der Elektrizitätsversorgung in enger Zusammenarbeit zwischen Anwendern, Technologieanbietern und Politik sind die E-Energy-Projekte, deren erste Phase in diesem Jahr zu Ende geht. Sie haben in den zurückliegenden Jahren wichtige Erkenntnisse geliefert, die nun mehr und mehr in praktische Ergebnisse umgewandelt werden. Auch dies war auf der Hannover Messe erlebbar.
Upgrade für das Netz
Ein Beispiel dafür ist die auf Seite 20 abgebildete Nachrüstlösung für die Fernüberwachung von Ortsnetzstationen, die im Rahmen des E-Energy-Projektes MeRegio entwickelt wurde. Sie trägt der Tatsache Rechnung, dass es oft schwierig ist, Wandler für alle gewünschten Messwerte nachzurüsten. Deshalb wurde ein Algorithmus für den Fernwirkkopf entwickelt, der fehlende Messwerte auf Basis der verfügbaren Informationen und unter Kenntnis der Netzdaten berechnet.
Außerdem wurde in MeRegio ein Netzleitsystem für die Betriebsführung von Netzen mit hohem Anteil dezentraler Einspeiser weiterentwickelt. Es prognostiziert mit den Informationen aus Smart Metern und Wettervorhersagen mögliche Spannungshaltungsprobleme im Netz. Daraus ermittelt es Empfehlungen für die Behebung des Problems mit Lastverschiebungen und sendet diese an einen Marktplatz, so dass die Verbraucher ihr Verhalten anpassen können. Somit werden die vorhandenen Betriebsmittel besser ausgelastet und eine optimale Nutzung der Erzeugung innerhalb des Verteilungsnetzes unterstützt.
Ein ganz anderes Ergebnis der E-Energy-Projekte ist die ebenfalls in Hannover bekannt gegebene EEBus-Initiative [2]. Eine breite Gruppe von Industrieunternehmen, die auf den Gebieten Smart Grid und Smart Home tätig sind, haben sich hier zusammengeschlossen, um ein einheitliches Vernetzungskonzept zu fördern, das die unterschiedlichen am Markt erhältlichen Automatisierungsstandards integriert und damit eine wesentliche Voraussetzung für das Zusammenspiel der dezentralen Komponenten im Smart Grid schafft (siehe auch Beitrag Seite 22).
Noch immer viel zu tun
Die Evolution hin zu den Elektrizitätsversorgungssystemen der Zukunft schreitet also voran. Allen bisher erreichten Ergebnissen ist allerdings gemeinsam, dass sie jeweils von einzelnen Akteuren oder Gruppen von Akteuren alleine vorangetrieben werden konnten und überwiegend Reaktionen auf lokale Probleme waren. Sie konnten deshalb weitgehend innerhalb des bestehenden Marktrahmens stattfinden.
Es liegen jedoch noch einige Aufgaben vor uns, deren Lösung eine systemweit koordinierte Vorgehensweise erfordert und die deshalb nicht von einzelnen alleine voran getrieben werden können. Ein Beispiel ist die Erbringung der Frequenzstabilisierung mit Hilfe dezentraler Einheiten, seien es dezentrale Erzeugungsanlagen oder auch flexible Lasten. Die Bundesnetzagentur hat zu Recht in ihrem Eckpunktepapier darauf hingewiesen, dass solche Systemdienstleistungen in einem marktwirtschaftlichen Rahmen effizient erbracht werden können [3]. Voraussetzung dafür ist allerdings eine Informations-Infrastruktur.
Das bestehende Marktmodell baut darauf auf, dass Systemdienstleistungen nahezu ausschließlich von den Betreibern großer Kraftwerke und den Übertragungsnetzbetreibern erbracht werden. Es muss deshalb dahingehend weiter entwickelt werden, dass dezentrale Einheiten effizient an diesem Teil des Systembetriebs teilnehmen können und ihre Betreiber Anreize haben, diese Möglichkeit auch wahrzunehmen. Deshalb ist für die nun anstehende Entwicklungsphase der künftigen Elektrizitätsversorgungssysteme ein Masterplan erforderlich, wie er beispielsweise von Acatech gefordert wird [4].
Weitere Informationen
[1] Neumaier, R; Kaendler, G.; Gartmair, H.; Berger, F.: Strukturelle Überlegungen zu künftigen Pilottrassen von Overlay-Verbindungen in Deutschland. 9. CIGRE/CIRED-Informationsveranstaltung, Regensburg, 5. Oktober 2011
[2] Initiative EEBus: Deutsche Wirtschaft einigt sich auf einheitliches Technologiekonzept zur effizienten Energienutzung. Pressemitteilung, 23. April 2012
[3] Bundesnetzagentur: „Smart Grid“ und „Smart Market“. Eckpunktepapier der Bundesnetzagentur zu den Aspekten des sich verändernden Energieversorgungssystems. Bonn, Dezember 2011
[4] Acatech (Hrsg.): Future Energy Grid. Informations- und Kommunikationstechnologien für den Weg in ein nachhaltiges und wirtschaftliches Energiesystem (acatech POSITION). Springer-Verlag, Heidelberg u. a., 2012