Bauelemente Richtig oder falsch, Herr Goller?

02.09.2013

Die amerikanische Firma Innovasic ist eines der wenigen Unternehmen, das auf Kundenwunsch die Funktionen vom Originalhersteller nicht mehr gefertigter Bauteile in so genannten „Replacement“-ICs nachbildet. Europa-Repräsentant Volker Goller erläutert, worauf es bei dieser Technologie ankommt.

Die von Innovasic nachgebauten ICs sind 100-prozentig identisch mit dem Original.

Falsch.Dazu müssten wir den Chip ja klonen, was wir derzeit definitiv noch nicht tun. Unsere Bausteine sind zwar zum Original software-und pin-kompatibel, aber die dafür notwendigen Funktionen werden nicht einfach kopiert, sondern von uns komplett neu nachgebildet. Da wir nicht jedes Timing des Chips bis ins Letzte exakt emulieren können, wird sich ein nachgebautes IC zwangläufig in einigen Details vom Original unterscheiden und muss deshalb in der Regel auch neu qualifiziert werden. In der überwiegenden Zahl der Applikationen stellt dies allerdings erfahrungsgemäß kein Problem dar, nur in ganz wenigen Fällen ist ein zusätzliches Feintuning nötig. Es kann schon mal vorkommen, dass irgendwo ein Widerstand nicht passt oder eine Softwareschleife ein kritisches Timing zeigt, aber das sind dann die berühmten Ausnahmen. In mindestens 90 Prozent der Fälle reden wir von echtem „Plug&Play“, in fünf Prozent muss noch an der einen oder anderen Stelle leicht nachjustiert werden. Und dann gibt es noch einige wenige Fälle, bei denen man sich nach eingehender Prüfung aller zu berücksichtigender Faktoren ehrlich eingestehen muss, dass der zu betreibende Aufwand am Ende zu groß wird. Wir haben immer wieder Fälle, bei denen beispielsweise durch einen Fehler in der Interpretation des Datenblattes von einem Entwickler irgendwann ein Code geschrieben wurde, der so eigentlich gar nicht funktionieren hätte dürfen. Aus unerfindlichen Gründen tat er es aber doch, und aufgefallen ist der Fehler erst, als wir versucht haben, die gewünschte Funktion nachzubilden, weil das nach Datenblatt natürlich nicht funktioniert hat. Uns hilft es letzten Endes nur wenig, wenn der Chip das eigentlich gar nicht können dürfte. Wenn der Kunde diese Funktion bisher genutzt hat, müssen wir sie bei unserem Replacement trotzdem berücksichtigen.

Man kann jeden Chip nachbauen.

Richtig.Es gibt zwar einige Bausteine, für die man Zugang zu speziellen Prozesse haben muss, zum Beispiel wenn höhere Betriebsspannungen gefordert sind, und es gibt auch bestimmte Features, die so ein Replacement-Design teurer machen, etwa die Integration von Flash, aber prinzipiell kann man jedes IC nachbauen. Analog, Digital, Mixed Signal, das alles haben wir schon zigfach realisiert, und im Normalfall funktioniert das auch alles wunderbar. Letztlich ist alles nur eine Frage des Aufwandes, also ob es ökonomisch sinnvoll ist - wobei wir dabei übrigens nicht auf die Kooperationsbereitschaft des Originalherstellers angewiesen sind. Mit unserem klassischen Miles-Prozess entwickeln wir entlang der Datenblätter, Application Notes und Vorgaben der Kunden. Noch einfacher funktioniert das mit einer neuen Technologie, die die Strukturen des jeweiligen Chips automatisch analysiert und daraus Netzlisten erzeugt. Da sammeln wir gerade unsere ersten Erfahrungen. Damit lässt sich praktisch jeder Chip klonen, auch mit Embedded Flash. Da kann man wirklich tolle Sachen machen, wobei hier natürlich extrem wichtig ist, die rechtliche Situation in jedem Einzelfall vorher einwandfrei zu klären.

Beim Nachbau von ICs wird das geistige Eigentum des Herstellers gestohlen.

Falsch.Bei unserem klassischen Miles-Prozess greifen wir für die Nachbildung der von Kunden benötigten Funktionen wie schon beschrieben in erster Linie auf eigenes Know-how zurück. Bei unserem neuen Cloning-Prozess wird das geistige Eigentum natürlich auch nicht gestohlen. Dort wird im Einzelfall die rechtliche Situation vorher sauber mit dem Kunden und gegebenenfalls dem Originalhersteller geklärt.

Das lässt sich doch alles auch mit FPGAs viel billiger realisieren.

Falsch.Das kriegen wir seit Jahren zwar auch immer wieder zu hören, aber die wenigstens Leute sind sich darüber im Klaren, dass in diesem Fall ein ziemlich waghalsiges eigenes Entwicklungsprojekt mit allen damit verbundenen Unsicherheiten wie Anpassung von Logik-Levels etc. und ungewissem Ausgang vor ihnen liegt. Wir benutzen ja selber auch FPGAs, um unsere Designs zu verifizieren. Aber wenn ich sehe, wie aufwändig hier allein schon die Adapter-Technologie ist, was da noch an zusätzlichen Level-Treibern, Pull-ups etc. notwendig ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass sich ein FPGA für jemand ohne Replacement-Erfahrung wirklich lohnt, zumal das ja dann praktisch ein Re-Design der ganzen Baugruppe bedeutet. Fakt ist, dass viele auf dem freien Markt verfügbaren Cores gar nicht die nötigen Voraussetzungen bieten, um damit ohne größere Komplikationen ein bestehendes Produkt ablösen zu können. Wir wissen hier aus leidvoller eigener Erfahrung, wovon wir sprechen. Auch wir haben gelegentlich schon Cores zugekauft, um Entwicklungszeit zu sparen, aber dieser vermeintliche Schuss ins Schwarze ist am Ende leider schon mehr als nur einmal nach hinten losgegangen, weil diese am Markt verfügbaren Cores in der Regel zum Beispiel für unsere Zwecke viel zu wenige Testvektoren haben. Ein bestehendes Design auf ein FPGA zu bringen ist also de facto alles andere als trivial.

Der Nachbau von ICs lohnt sich nur in den allerwenigsten Fällen. In den meisten Fällen ist eine Neuentwicklung günstiger.

Richtig,wobei es bei der Entscheidung für oder gegen ein Replacement-IC oft gar nicht so sehr nur um die reinen Kosten geht. Eine vor 10, 15, oder 20 Jahren entwickelte sicherheitskritische Applikation lässt sich erfahrungsgemäß nicht so ohne Weiteres einmal schnell nebenbei auf einen kleinen ARM-Core packen. 20 Jahre Hard- und Softwarererfahrung portiert man nicht in wenigen Wochen auf eine komplette neue Umgebung. Hier kann der Nachbau eines ICs auch aus ganz anderen Erwägungen - zum Beispiel Umgehung von Entwicklungs- oder Zertifizierungsrisiken - durchaus sinnvoll sein, vor allem, wenn sich das Endprodukt bereits in einer späten Phase seines Lebenszyklus befindet.

Beim Nachbau von ICs begibt man sich in eine rechtliche Grauzone.

Falsch.Bevor wir bei Innovasic mit der Entwicklung eines Replacement-ICs beginnen, betreiben wir natürlich vorab entsprechende Patentrecherchen. Wenn wir im Rahmen dieser sehr aufwändigen Recherchen auf irgendwelche möglicherweise patentrechtlich kritischen Features stoßen, werden diese Funktionen von uns so emuliert, dass Patentverletzungen im Vornherein ausgeschlossen werden. Wie ernst wir dieses heikle Thema nehmen, sieht man auch daran, dass es seit der Unternehmensgründung 1992 noch nie irgendwelche Beanstandungen seitens der betroffenen Originalhersteller oder anderer Chipproduzenten gab. Bei unserem neuen Prozess, mit dem sich praktisch nahezu vollautomatisiert eine Kopie des Originalchips herstellen lässt, gibt es natürlich schon einige rechtliche Einschränkungen. Der Endkunde muss sich hier erst einmal seiner rechtlichen Position bewusst werden, zumal es hier sehr unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten gibt. Eine davon ist: Wenn ich ein Gerät baue und ein entscheidendes Bauteil auf dem Markt nicht mehr verfügbar ist, der Hersteller mir dieses Teil also quasi absichtlich vorenthält, dann habe ich alles Recht der Welt, mir dieses Teil nachbauen zu lassen. Da nutzt dann auch patentrechtlich Schützung nichts. Ob diese Situation im jeweiligen Einzelfall, und wenn ja, in welchen Ländern gilt, muss im Einzelfall geprüft werden.

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