Dr. Selma Lossau brennt für die Energiewende. „Wir sind mitten drin und voll dabei“, sagt die Leiterin des Netzentwicklungsmanagements bei der Netze BW. Durch die Brille eines Betreibers von Verteilnetzen, der vor rund 50 Jahren entstanden ist und auf zentrale Großkraftwerke ausgelegt wurde, ist sie überzeugt: „Auf Jahrzehnte hinaus werden wir uns immer wieder auf innovative Entwicklungen einstellen müssen.“ Das Umfeld der EnBW-Tochter hat sich dabei bereits stark verändert, spätestens mit dem massiven Ausbau der Photovoltaik. Heute speisen rund 170.000 dezentrale Erzeuger in das Verteilnetz des südwestdeutschen Unternehmens ein. Daraus ergibt sich laut Lossau eine besondere Aufgabenstellung: „Unsere Netzkunden und die Lieferanten erwarten einen immer besseren Service bei komplexeren Anforderungen.“ Dem habe man jedoch durch frühzeitige Digitalisierung sehr gut nachkommen können.
Integration der Ladeinfrastruktur
Eine weitere große Herausforderung, auf die man sich in Stuttgart einstellt, ist die E-Mobilität. In einigen seiner „NETZlabore“ widmet sich der Netzbetreiber deshalb der Integration der Ladeinfrastruktur. Das bekannteste davon ist die „e-Mobility Allee“ in Ostfildern (bei Stuttgart), die sogar international Beachtung fand. Im Kern geht es jeweils um das Ladeverhalten von E-Mobilisten und dessen Auswirkungen auf das Ortsnetz in einem Strang mit vielen Nutzern. Dazu kommt die Entwicklung und Erprobung von Methoden für ein Lademanagement auf Basis innovativer Technik. Als damalige Leiterin der Netzintegration Elektromobilität ist Lossau heute noch stolz darauf, mit einem „tollen Team eine unlösbar erscheinende Aufgabe“ bewältigt zu haben. „Wir brauchten einen technisch geeigneten Standort, an dem es auch noch die Anwohner zu überzeugen galt, dass wir in ihrem Privateigentum unsere Systeme installieren dürfen. Dazu kam, genügend E-Fahrzeuge und die zu erprobende Netzinfrastruktur zu beschaffen und auch die Gemeinde mit ins Boot zu holen“, erläutert die promovierte Wirtschaftsingenieurin.
Verteilnetz flächendeckend digitalisieren
Inzwischen kümmert sich die gebürtige Berlinerin mit 60 Mitarbeitern darum, dass der Aus- und Umbau der Netze so reibungslos wie möglich läuft. „Jedem der Kollegen muss dabei klar werden, wie wichtig seine individuelle Aufgabe fürs Unternehmen ist“, betont Lossau. Deshalb diskutiere man regelmäßig auch die strategischen Entscheidungen. Ein weiteres Projekt, das übergreifend viele Bereiche und damit auch ihr Team ganz hautnah betrifft, hört auf den Namen „NETZlive“. Das auf das ganze Jahrzehnt angelegte Mega-Vorhaben verfolgt das Ziel, das Verteilnetz flächendeckend zu digitalisieren – vom Betrieb bis zu Planung und Bau. „So schaffen wir nicht nur die für die Integration der dezentralen Energieerzeugung immer wichtigere Transparenz, sondern erhöhen auch die Effizienz“, sagt Lossau. Im südbadischen Freiamt entwickelt die Netze BW zudem in einem großen Konsortium aus Forschung und Industrie ein sich automatisch steuerndes Smart Grid. Das Projekt „flexQgrid“ soll dabei die Blaupause für standardisierte Anwendungen abgeben.
Die Energiemanagerin erläutert die dahinter liegende Unternehmensstrategie so: „Wir wollen stets zwei Schritte voraus denken und beschreiten heute schon konsequent den Weg der Digitalisierung.“ So hat man kürzlich auf Basis einer Studie flächendeckend den Handlungsbedarf in den Ortsnetzen bei einem schnellen Ausbau der E-Mobilität ermittelt.