Bauelemente Lebensdauer von Aluminium-Elkos richtig abschätzen


Aufbau von Aluminium-Elektrolytkondensatoren

18.10.2012

Elektronische Schaltungen optimal zu dimensionieren erfordert heutzutage detaillierte Kenntnisse der elektronischen, insbesondere der passiven Bauelemente. Vor allem die Abschätzung der Belastbarkeit und Lebensdauer von Elektrolytkondensatoren gewinnt zunehmend an Bedeutung. Herstellerspezifische Modelle helfen bei der praktischen Berechnung, die Ungenauigkeit und Uneinheitlichkeit der Simulationen erschwert jedoch die Bewertung verschiedener Alternativen erheblich.

Stetig steigende Anforderungen an die Applikation respektive Systeme stellen Entwickler immer mehr vor die Herausforderung, langzeitstabile, hoch belastbare Bauelemente bei gleichzeitiger Reduktion der Bauteil- und Platinenkosten zu finden. Immer häufiger zählen zu den kritischen Bauelementen einer Schaltung die technologisch bedingt in der Lebensdauer begrenzten Aluminium-Elektrolytkondensatoren (Elkos).

Die reine Betrachtung der Datenblattwerte ohne ihre korrekte Bewertung und Auslegung lässt viele Entwickler heutzutage schnell an die Grenzen der Möglichkeiten stoßen. Wo früher hohe Redundanz durch Verwendung einer Vielzahl von Kondensatoren möglich war, erfordert der zunehmende Kostendruck immer mehr die Einsparung von Bauteilen sowie den Betrieb derselben im Grenzbereich. Umso mehr rückt das genaue Verständnis der Eigenschaften und Funktionsweise moderner Elektrolytkondensatoren inkl. der Parameter, die ihre Lebensdauer charakterisieren und beeinflussen, in den Vordergrund. Uneinheitliche Beschreibungen und Modelle erschweren dabei die Auswahl und Vergleichbarkeit verschiedener Kondensatoren.

Allzu oft verlässt man sich bei der Auswahl und der Betrachtung der Lebensdauer von Aluminium-Elektrolytkondensatoren auf die reine Betriebsstundenangabe im Datenblatt sowie auf den spezifizierten überlagerten Wechselstrom (ripple), ohne dabei genauer auf die zugehörigen Bedingungen und Definitionen zu achten.

Gerne werden die im Datenblatt angegebenen Grenzwertvorgaben, die die charakteristischen Kennwerte Kapazität, Verlustfaktor und Leckstrom eines Elko innerhalb der Lebensdauer einhalten müssen, schlichtweg überlesen. Darf zum Beispiel die Kapazität einer 2.000-h-Type zum Lebensdauerende hin per Vorgabe um 15 Prozent absinken, so lässt sich deren Betriebsdauer meist signifikant erhöht angeben, wenn unter anderem die zulässige Kapazitätsdrift auf zum Beispiel 30 Prozent erweitert wird. Die reine Angabe der Stunden im Datenblatt ist folglich nur eingeschränkt zum Vergleich verschiedener Elkos geeignet und allzu oft nicht ohne Rücksprache mit dem Hersteller und dessen Bewertung unter angepassten Kennwertgrenzen möglich. Es darf auch nicht vergessen werden, dass die Angabe der Kapazitätsdrift zumeist nicht auf den Nennwert bezogen wird, sondern auf den Initialwert, d. h. auf den Auslieferungszustand inklusive Fertigungstoleranzen. Die Angabe, unter welcher vorgegebenen Kerntemperaturerhöhung der zulässige Ripple-Strom eines Elkos ermittelt und festgelegt wurde, findet sich in den Datenblättern häufig gar nicht, wobei auch diese Vorgabe nicht einheitlich verwendet wird.

Anodenfolie ist wichtiger Bestandteil

Wesentlicher Bestandteil eines Aluminium-Elektrolytkondensators ist die Anodenfolie, die zur Erhöhung der wirk-samen Kondensatorfläche bei gleicher Grundfläche hoch aufgerauht wird. Elektro-chemisch wird auf diese das Dielektrikum (Aluminiumoxid) als hauchdünne Schicht aufgebracht. Die Kathode benetzt als leitfähige Flüssigkeit flächendeckend das Dielektrikum.

Die wesentlichen Eigenschaften des Elkos (Kapazität, ohmscher Widerstand (ESR), Verlustfaktor (tanδ), Leckstrom sowie Frequenz- und Temperaturabhängigkeiten der Parameter), ergeben sich aus seinem Gesamtaufbau sowie der Zusammensetzung des Elektrolyten. Letztere beeinflusst insbesondere auch die chemische Stabilität des Systems aus Elektrolyt und Dielektrikum und damit auch die Langzeitstabilität und Belastbarkeit des Kondensators. �?ußere thermische Einflüsse sowie die Eigenerwärmung des Elkos, die sich aufgrund des ohmschen Widerstandes über Anlegen von Spannung und Strom ergibt, führen zu Veränderungen und Verlust des Elektrolyten und damit langfristig zur Veränderung seiner Eigenschaften und der Begrenzung seiner Lebensdauer.

Spezifische Eigenschaften nicht berücksichtigt

In den einschlägigen Datenbüchern stellen viele Hersteller Modelle zur Verfügung, mit denen die Lebensdauer eines Elkos unter realen Applikationsbedingungen abgeschätzt werden kann (Berücksichtigung der Umgebungstemperatur, des applizierten ripple-Stroms und ggf. der anliegenden Spannung). Teils erfolgt dies über Rechenmodelle, teils über Nomogramme, aus denen die Daten graphisch direkt abgelesen werden können. Da es sich dabei um keine eindeutigen physikalischen Gesetze, sondern vielmehr um empirisch ermittelte herstellerspezifische Simulationen handelt, zeigen diese Rechenmodelle teilweise erhebliche Unterschiede. Die Modelle decken gleichzeitig meist ganze Familien von Kondensatoren eines Herstellers gemeinsam ab, ohne dabei die spezifischen Eigenschaften einzelner Elektrolytsysteme genauer zu berücksichtigen. Exemplarisch zeigt Tabelle 1 einen Vergleich der Rechenergebnisse mehrerer Herstellermodelle. Dabei ist eine repräsentative Type ausgewählt, mit deren per Datenblatt spezifiziertem ripple-Strom und Grundlebensdauer die Berechnungen mit verschiedenen Herstellermodellen exemplarisch zum Vergleich durchgeführt wurde.

Es zeigt sich, dass die berechneten Werte der physikalisch gesehen selben Type (was bei Zugrundelegung einer eindeutigen physikalischen Nachbildung zu denselben Berechnungsergebnissen führen müsste), teils erhebliche Unterschiede aufweisen. Allein die Abschätzung des Lebensdaueranstiegs aufgrund reduzierter Umgebungstemperatur, die in der Regel durch die bekannte Näherungsformel nach Arrhenius bewertet wird (Verdoppelung der Lebensdauer pro 10K Reduktion der Umgebungstemperatur), liefert bei einem der Herstellermodelle einen deutlich höheren Lebensdauergewinn.

Offensichtlich werden dort zusätzliche lebensdauerfördernde Effekte berücksichtigt, die in anderen Modellen aufgrund der mathematischen Entkoppelung aller Einflussfaktoren unberücksichtigt bleiben. Beispielsweise darf bei reduzierter Umgebungstemperatur der Ripple-Strom auch über seinen Nennwert appliziert werden. Wird dieser nicht über seinen Nennwert erhöht, reduziert sich vergleichsweise die Gesamtbelastung des Systems. Weiterhin führen in manchen Fällen, z. B. bei unter Nennwert liegendem ripple-Strom, die Berechnungen eines Herstellers zu höheren Lebensdauerwerten als bei anderen Herstellern. Die Verhältnisse drehen sich teils um, wenn man bei derselben Type den ripple-Strom über seinen Nennwert erhöht. Man kann also nicht davon sprechen, dass die Abschätzungen eines Herstellers A generell um einen fixen Faktor höher liegen als die eines Herstellers B, sondern die Verhältnisse wechseln über den gesamten Betriebsbereich.

Die Abweichungen der Rechenergebnisse sind primär auch auf die Unterschiede in den Berechnungssimulationen, der Nachbildung der physikalischen Realität und der unterschiedlichen Berücksichtigung spezieller Zusammenhänge im Modell zurück zu führen, nicht jedoch - wie eigentlich erforderlich - nur auf die physikalischen Gegebenheiten des zugrunde liegenden Elko. Dies erschwert die Bewertung und Vergleichbarkeit verschiedener Elkos für die Eignung in der Applikation erheblich und zeigt, dass die Berechnungsmodelle nur als grobe Annäherung herangezogen werden können, nicht jedoch als genaue Berechnung der zu erwartenden Lebensdauer.

Nicht zuletzt sei darauf hingewiesen, dass ein vermeintlich schlechteres Berechnungsergebnis der Type eines Herstellers nicht automatisch auch bedeutet, dass die Type eine geringere Lebensdauer als die Vergleichstype eines anderen Herstellers aufweist. Hier kann de facto lediglich eine Ungenauigkeit des Rechenmodells ursächlich für den vermeintlichen Unterschied sein. Mit entsprechender Vorsicht sind die Berechnungsergebnisse für die Praxis zu werten.

Die von den Herstellern angebotenen Berechnungsmodelle liefern eine grobe Abschätzung der Lebensdauer unter realen Applikationsbedingungen. Da keine reinen physikalischen Gesetze hinter den Formeln liegen, sondern die Modelle empirisch aus langjährigen Versuchsreihen und Erfahrungen abgeleitet sind, zeigen sich zum Teil erhebliche Unterschiede in der Berechnung der Lebensdauer rein aus dem mathematischen Modell heraus. Es obliegt der Philosophie des Herstellers, wie konservativ oder mutig sein Lebensdauer-Berechnungsmodell ausgelegt ist und wie stark dadurch die Abschätzung zu den real erreichbaren Werten abweicht.

Konservative Abschätzungen

Häufig sind bei den Marktführern extrem konservative Abschätzungen zu finden. Die Modelle decken allerdings auch jeweils alle Varianten des Typenspektrums bzw. der Elektrolytsysteme des Herstellers ab, wodurch die Abschätzung der Lebensdauer eines Kondensators gemessen an der Realität als eher zu gering ausfällt. Ebenso leidet die Vergleichbarkeit einzelner Typen verschiedener Hersteller deutlich unter dieser abweichenden Auslegung der Berechnungsmodelle.

Nicht selten müsste ein Entwickler einen für die Applikation eigentlich gut geeigneten Kondensator aufgrund zu konservativer Auslegung des Berechnungsmodells und damit nicht ausreichendem Rechenwert für die Lebensdauer verwerfen und gegen eine teurere und/oder platzraubendere Alternative ersetzen.

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