EU-Chip-Strategie Mehr Chips aus Europa? Warum die Realität hinterherhinkt

Die Europäische Kommission will Europas Anteil an der globalen Mikrochip-Produktion bis 2030 auf 20 Prozent steigern. Ein aktueller Bericht des Europäischen Rechnungshofs kritisiert jedoch große Umsetzungslücken und nennt das Ziel derzeit unrealistisch.

Bild: iStock, Mykola Pokhodzhay
29.04.2025

Ein Anteil von 20 Prozent am weltweiten Mikrochips-Markt bis 2030 bleibt für die EU voraussichtlich außer Reichweite. Das geht aus einem aktuellen Bericht des Europäischen Rechnungshofs hervor. Zwar habe das 2022 verabschiedete EU-Chip-Gesetz der europäischen Mikrochip-Industrie neue Impulse gegeben, doch dürften die geplanten Investitionen kaum ausreichen, um die internationale Wettbewerbsposition der EU spürbar zu stärken.

Mikrochips spielen in unserem Alltag eine zentrale Rolle. Der weltweite Mangel an Mikrochips während der Corona-Pandemie hat deutlich gemacht, wie wichtig sie für die Wirtschaft sind. In der Strategie der EU für die sogenannte digitale Dekade wurde das Ziel festgelegt, dass die EU bis 2030 einen wertmäßigen Anteil von 20 Prozent an der weltweiten Produktion hochmoderner und nachhaltiger Mikrochips erreicht. Laut den Prüfern hat die EU-Kommission bei der Umsetzung ihrer Strategie akzeptable Fortschritte erzielt, doch bestehe eine Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit, die überbrückt werden müsse.

„Die EU muss ihre Strategie für die Mikrochip-Industrie dringend einem Realitäts-Check unterziehen“, so Annemie Turtleboom, die als Mitglied des Europäischen Rechnungshofs für den Bericht zuständig ist. „Die Entwicklung in der Branche ist rasant, und es gibt einen intensiven geopolitischen Wettbewerb. Wir hinken unseren ehrgeizigen Zielen derzeit weit hinterher. Das 20-Prozent-Ziel ist sehr hoch angesetzt – um es zu erreichen, müssten wir unsere Produktionskapazität bis 2030 etwa vervierfachen. Ein solches Tempo ist momentan in keinem Bereich erkennbar. Europa muss am Wettbewerb teilnehmen, und die EU-Kommission sollte ihre langfristige Strategie überarbeiten, um der Realität vor Ort gerecht zu werden.“

Große Ziele, kleine Mittel – und viele offene Fragen

Die EU-Kommission komme nur für 5 Prozent (4,5 Milliarden Euro) der im Chip-Gesetz bis 2030 vorgesehenen Mittel von rund 86 Milliarden Euro auf. Der Rest müsse von den EU-Ländern und der Industrie bestritten werden. Die weltweit führenden Chip-Hersteller hätten im Vergleich dazu in einem Zeitraum von nur drei Jahren (2020 bis 2023) 405 Milliarden Euro an Investitionen aufgebracht, was die finanzielle Schlagkraft des Chip-Gesetzes minimal erscheinen lasse.

Allerdings – so betonen die Prüfer – habe die EU-Kommission kein Mandat, die nationalen Investitionen auf EU-Ebene zu koordinieren, sodass sie mit den Zielen des Chip-Gesetzes im Einklang stehen. Darüber hinaus fehle es dem Chip-Gesetz an Klarheit bei Zielvorgaben und Überwachung, und es sei schwer zu sagen, ob es der derzeitigen Nachfrage der Industrie nach herkömmlichen Mikrochips hinreichend Rechnung trage.

Den Prüfern zufolge beeinflussen mehrere weitere Schlüsselfaktoren die Wettbewerbsfähigkeit der EU in diesem Bereich und die Chancen auf eine erfolgreiche Umsetzung des Chip-Gesetzes. Dazu gehörten die Abhängigkeit von Rohstoff-Importen, die hohen Energiekosten, Umweltbelange, geopolitische Spannungen und Ausfuhrkontrollen sowie der Fachkräftemangel. Außerdem bestehe die Mikrochip-Industrie in der EU aus einigen wenigen großen Unternehmen, deren Projekte oft große Summen erforderten, was zu einer Konzentration der Mittel führe. Der Abbruch, die Verzögerung oder der Misserfolg eines einzelnen Projekts könnten daher erhebliche Auswirkungen auf die gesamte Branche haben.

Fazit

Insgesamt stellten die Prüfer fest, dass sich durch das Chip-Gesetz der Anteil der EU am Mikrochip-Markt aller Voraussicht nach nicht deutlich erhöhen wird und dass das Ziel von 20 Prozent der Weltproduktion wohl kaum erreicht wird. So gehe auch die EU-Kommission in ihrer im Juli 2024 veröffentlichten Prognose davon aus, dass – trotz eines erwarteten deutlichen Anstiegs der Produktionskapazität – der Anteil der EU an der globalen Wertschöpfungskette in einem rasch wachsenden Markt insgesamt nur geringfügig steigen wird: von 9,8 Prozent im Jahr 2022 auf 11,7 Prozent im Jahr 2030.

Hintergrundinformationen

Als Teil der Industriepolitik der EU wurde im Februar 2022 – vor dem Hintergrund der durch die Corona-Pandemie verursachten Störungen der globalen Lieferkette – das Chip-Gesetz vorgelegt. Ziel des Chip-Gesetzes war es, die Versorgungsengpässe bei Mikrochips zu bewältigen und die technologische Führungsrolle der EU zu stärken. Die Verordnung über das Chip-Gesetz trat im September 2023 in Kraft. Dem Chip-Gesetz ging die Strategie von 2013 voraus, mit der die Mikro- und Nanoelektronik-Branche gestärkt werden sollte. Die Produktionskapazität der EU für Mikrochips wurde seit 2013 zwar deutlich gesteigert, hielt jedoch nicht mit dem weltweiten Wachstum Schritt, sodass der Anteil der EU am Weltmarkt zurückging.

Das Chip-Gesetz wurde unter relativem Zeitdruck ausgearbeitet – unter anderem, da mit ihm auf die Versorgungsengpässe nach der Corona-Pandemie reagiert wurde. Daher wurden die Standardverfahren für die Ausarbeitung von Rechtsvorschriften – zu denen etwa eine Bewertung früherer Strategien und eine Folgenabschätzung des Vorschlags gehören – nicht vollständig befolgt. Die Europäische Kommission muss dem Europäischen Parlament und dem Rat bis September 2026 ihre erste Zwischenbewertung und Überprüfung des Chip-Gesetzes vorlegen.

Der Sonderbericht 12/2025 „Die Strategie der EU im Bereich Mikrochips“ sowie ein Kurztext mit den wichtigsten Fakten und Feststellungen stehen auf der Website des Europäischen Rechnungshofs zur Verfügung.

Firmen zu diesem Artikel
Verwandte Artikel