Industrie im Wandel Wie grüne Vorprodukte Deutschlands Zukunft sichern können

Hohe Energiekosten machen Deutschland im Wettbewerb mit anderen Ländern weniger konkurrenzfähig. Ein neuer Bericht empfiehlt, mehr grüne Vorprodukte zu importieren und sich auf die Weiterverarbeitung von Industrieprodukten zu konzentrieren – um die Wettbewerbsfähigkeit der Chemie- und Stahlindustrie zu sichern.

Bild: iStock, KanawatTH
30.12.2024

Explodierende Energiekosten und knapper Wasserstoff: Deutschlands Industrie steht unter Druck – doch ein radikales Umdenken bietet Chancen. Ein neuer Report von Forschende, des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Kopernikus-Projekts Ariadne enthüllt, wie der Import grüner Vorprodukte und eine Fokussierung auf Hightech-Weiterverarbeitung die Wettbewerbsfähigkeit sichern und Arbeitsplätze retten können. Die Schlüsselrolle spielt eine visionäre Gesamtstrategie, um die Transformation erfolgreich zu gestalten.

Vor dem Hintergrund der stagnierenden wirtschaftlichen Entwicklung und der notwendigen Transformation der deutschen Industrie, rückt das Thema Wettbewerbsfähigkeit in den Fokus der öffentlichen Debatte. Langfristig werden die vergleichsweise hohen Kosten von grünen Energieträgern in Deutschland einen Nachteil im internationalen Wettbewerb darstellen. Diesen dauerhaft und in der Breite der Industriesektoren politisch auszugleichen, bedarf hoher Subventionen, ist volkswirtschaftlich ineffizient und politisch kaum umsetzbar, schreiben die Autorinnen und Autoren des Ariadne-Reports.

Auch den heutigen Import fossiler Energieträger vollständig durch grüne Energieträger ersetzen zu wollen, sei nicht realistisch – nicht nur weil grüner Wasserstoff und erneuerbarer Strom in Deutschland knapp sind, sondern auch, weil sie sich viel schlechter transportieren lassen als Kohle, Erdöl oder Erdgas. „Es ist aus fundamentalen physikalischen und ökonomischen Gründen unrealistisch, sämtliche energieintensiven Produktionsschritte grüner Grundstoffe in Zukunft in Deutschland durchzuführen“, erklärt der Ariadne-Forschende Philipp Verpoort vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, „ein subventioniertes ‚Weiter so‘ droht in einer Sackgasse zu enden.“

Vorprodukte importieren – Wertschöpfung sichern

Stattdessen schlägt das Forschungsteam vor, den heutigen Import von fossiler Energie und Rohstoffen hin zum Import von grünen Vorprodukten zu verschieben und sich stärker auf die hohe Wertschöpfung in der industriellen Weiterverarbeitung zu konzentrieren. Damit könnte die Stahlindustrie statt wie heute Eisenerz zukünftig grünes Roheisen importieren und in Deutschland zu Stahl verarbeiten. Dann würde lediglich der energieintensivste Schritt ins Ausland verlagert. Arbeitsplätze der Stahlindustrie und der nachgelagerten stahlintensiven Unternehmen könnten in Deutschland gehalten werden. Ein „Friendshoring“ in befreundete europäische Länder mit besserer Verfügbarkeit von erneuerbarem Strom könnte sowohl Kosten senken als auch Versorgungssicherheit gewährleisten.

Gleiches gelte für die Chemieindustrie, die zukünftig Vorprodukte wie grünen Ammoniak oder grünes Methanol importieren könnte. „Da ein Großteil der Wertschöpfung und der Arbeitsplätze zukünftig nicht in der Erzeugung solcher energieintensiven Vorprodukte unter Einsatz von viel grünem Wasserstoff liegen wird, gilt es dies schon heute zu berücksichtigen und entsprechend vorzuplanen“, erklärt Ariadne-Forscherin Luisa Sievers vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung, „der künftige Fokus sollte stattdessen auf der Weiterverarbeitung in der Chemie-, Kunststoff- und pharmazeutischen Industrie liegen, was auch zur Sicherung heutiger Arbeitsplätze beiträgt.“

Koordinierte Gesamtstrategie mit realistischem Zielbild für Wasserstoff

Wenn die deutsche Grundstoffindustrie langfristig mehr Vorprodukte importiert, wird die zukünftige Wasserstoffnachfrage in Deutschland laut den Autorinnen und Autoren geringer ausfallen, als aktuell oft angenommen. Gleichzeitig bleibe ein substantieller Wasserstoffbedarf in einigen Industriesektoren bestehen, sodass auch eine Transformation hin zu Wasserstoff weiterhin gefördert werden müsse. Die Forschenden empfehlen, den anvisierten Hochlauf auf realistischen Mengengerüsten und plausiblen Zielbildern aufzubauen, da sich sonst das Risiko erhöhe, dass der Wasserstoffhochlauf insgesamt scheitert.

Auf absehbare Zeit bleibe Wasserstoff ein knappes und teures Gut, sodass auch bei steigenden CO2-Preisen hohe finanzielle Förderungen notwendig seien. Diese Förderung auf erste große Ankerkunden wie die Stahlproduktion zu fokussieren, hilft dem Wasserstoffhochlauf und den Investitionsentscheidungen in der Industrie – zugleich solle nicht erwartet werden, dass die gesamte deutsche Grundstoffindustrie auf diese Weise mit Wasserstoff versorgt werden könne.

Lesen Sie weiter im Energy Web-Magazin!

Für eine Transformation der deutschen Industrie empfehlen die Verfassenden des Ariadne-Reports die Entwicklung einer Gesamtstrategie, die sowohl europäisch eingebettet, als auch über verschiedene Politikfelder hinweg koordiniert ist. Die politischen Ziele sollten klar definiert sein, um Zielkonflikte zu begreifen und eine bewusste Entscheidung möglich zu machen. Die Autorinnen und Autoren legen ein Bewertungsschema vor, das dabei helfen kann. Ein kontrollierter Strukturwandel könnte den Verlust von Arbeitsplätzen und Wertschöpfung weitgehend verhindern und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie stärken.

Firmen zu diesem Artikel
Verwandte Artikel